Ist der Apotheker bald kein Heilberuf mehr?
Mit dieser zugegeben provokanten Fragestellung möchte ich mich als Apotheker und Betroffener in die aktuelle Diskussion um das vom Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegebene Honorargutachten einschalten. Es ist noch immer nicht offiziell und deshalb kann ich mich nur auf das beziehen, was bisher vorab an die Presse durchgesickert ist.
Die Hürden für den Apotheker sind groß
Das Studium der Pharmazie unterliegt der Zugangsbeschränkung, gemeinhin als Numerus Clausus bekannt. Wer es in das Studium geschafft hat, vor dem liegen höchst anspruchsvolle Semester, in denen die gesamte Bandbreite der Naturwissenschaften abgebildet wird. Anorganische Chemie, organische Chemie incl. Synthese von Stoffen, Biochemie, Physik, pharmazeutische Biologie, Arzneimittelanalytik und -herstellung, Arzneimittelwirkungen, Physiologie und noch viel mehr. Nach dem 2. Staatsexamen folgt ein praktisches Jahr, danach das 3. Examen. Hat man das in der Tasche, kann man die Erlaubnis zur Ausübung des Apothekerberufes beantragen, die sogenannte Approbation. Doch damit nicht genug, geht es mit den Hürden in der Apotheke weiter.
Apotheker haben einen öffentlichen Auftrag
Wer eine Apotheke betreiben möchte, benötigt dafür ebenfalls eine Genehmigung. Damit verbunden sind zahlreiche Auflagen, die in der Apothekenbetriebsordnung geregelt sind. Dazu gehören zum Beispiel Anforderungen an die Mindestgröße und Anzahl der Räumlichkeiten, an die Ausstattung, an die Mindestbevorratung von Arzneimitteln und die zu erbringenden Dienstleistungen. Apotheken sind verpflichtet, jedes Rezept, so weit möglich, zeitnah zu beliefern, egal ob es aus kaufmännischer Sicht wirtschaftlich oder unrentabel ist. Ein Umstand, den es so in keinem anderen Gewerbe gibt. Ziel des Gesetzgebers ist es, so den öffentlichen Auftrag einer Apotheke, die ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln, sicher zu stellen. Dazu erbringt eine Apotheke auch zahlreiche Arbeiten, die in der Bevölkerung nur wenig bekannt sind, wie die tägliche Stichprobenkontrolle der vorhandenen Arzneimittel auf Qualitätsmängel oder die Untersuchung von Chemikalien, bevor sie für die Rezeptur verwendet werden dürfen. Ferner hat eine Apotheke zahlreiche Dokumentationspflichten, die weit über einen normalen Gewerbebetrieb hinausgehen.
Verdient wird nur beim Verkauf
Last but not least, die Beratungsverpflichtung. Eine Apotheke ist grundsätzlich zur Beratung verpflichtet. Doch anders als beim Arzt, der die Beratung in Rechnung stellen darf, wird die Beratung durch die Apotheke nur honoriert, wenn es zu einem Verkauf kommt. Entweder durch Belieferung eines Rezeptes oder durch den Verkauf an Kunden im Rahmen der Selbstmedikation.
Unabhängigkeit des Heilberufs Apotheker infrage gestellt
Und genau hierin sehe ich die größte Gefahr in der aktuellen Honorardiskussion. Ich will nicht bestreiten, dass sich einzelne Apotheken früher aufgrund anderer Honorarmodelle eine, wie man umgangssprachlich so schön sagt, goldene Nase verdient haben. Ob das zu viel war, darüber mag man streiten. Doch Tatsache ist, dass bereits seit einigen Jahren für die Mehrheit der Apotheken die aktuelle Honorierung aufgrund der zahlreichen Eingriffe der Politik in den Apothekenmarkt nicht mehr ausreicht, um die vielen Pflichten und Aufgaben abzudecken. Ohne massive Kosteneinsparungen, insbesondere im Personalbereich, lässt sich das nicht mehr bewerkstelligen. Als ich mich entschloss, eine Apotheke zu übernehmen, bin ich von einem ungeschriebenen Vertrag ausgegangen. Für die zahlreichen Aufgaben und Pflichten, die mir auferlegt werden, sorgt die Politik für ein angemessenes Grundeinkommen. Das gibt mir die nötige Sicherheit, als Heilberufler wirklich frei und unabhängig ohne Verkaufszwang beraten zu können. Dieses Selbstverständnis des Heilberufs gilt für mich heute noch. Wenn ich von einem Produkt nichts halte oder die Notwendigkeit nicht sehe, geht bei mir ein Kunde auch mal ohne Einkauf wieder raus. Diese Unabhängigkeit sehe ich höchst infrage gestellt. Der Zwang, verkaufen zu müssen, um das wirtschaftliche Überleben zu sichern, wird immer größer.
Gutachten kritisiert ruinösen Preiswettbewerb
Ich gebe den Gutachtern Recht, wenn sie den ruinösen Preiswettbewerb insbesondere in den großen Städten kritisieren. Doch anders als vielleicht die Gutachter, kenne ich neben den Kollegen, die Preiskämpfe aus wirtschaftlichem Kalkül zur Erringung von Marktanteilen anzetteln, auch jene Kollegen, bei denen Preiskämpfe reine Verzweiflungstaten sind, um den sinkenden Umsätzen zu begegnen. Und anders als die Gutachter, sehe ich sehr Wohl den Versandhandel als Mitverantwortlichen für die deutlichen Umsatzrückgänge vor allem im Bereich der nicht verschreibungspflichtigen Medikamente. Wer mit billigen Arbeitskräften, die die Päckchen packen, hantieren kann, kann sich erhebliche Preisnachlässe erlauben. Eine normale Apotheke, bei der jede Arzneimittelabgabe durch qualifiziertes und teures Personal erfolgen muss, eigentlich nicht. Und deshalb finde ich auch, dass es eine Frechheit einzelner Politiker war, sich im Wahlkampf für den Versandhandel im Sinne des Verbrauchers auszusprechen um auf Stimmenfang zu gehen. Wir alle möchten gerne sparen, aber es gibt eine Grenze für „Geiz ist geil“. Man kann nicht beides haben. Erhebliche Preisnachlässe und eine hochqualifizierte Versorgung und Beratung.
Apotheker Heilberufler oder Kaufmann
Die Politik muss sich entscheiden. Will sie den Apotheker zukünftig primär als Heilberufler erhalten oder ihn zum reinen Kaufmann degradieren. Wer mehr Preiswettbewerb fordert, muss auch bereit sein, den Markt zu deregulieren. Sonst funktioniert es nicht. Das heißt für mich u.a. Aufhebung des Fremd- und Mehrbesitzverbotes, kein staatlicher Eingriff mehr in die Preisgestaltung und Einkaufskonditionen, Lockerung der Apothekenbetriebsordnung, keine Rabattverträge mehr, mehr Freiheit bei den angebotenen Leistungen und bei der Betriebsausstattung. Dass das den Markt gravierend verändern dürfte, sollte jedem klar sein. Der Leidtragende wird am Ende der Verbraucher sein.
Ich habe mich bewusst für diesen Heilberuf entschieden, weil ich den kaufmännischen Bereich bis zu einem gewissen Grad mag. Doch primär sehe ich mich als Heilberufler und möchte es auch bleiben.
Euer Andreas Binninger