Methylphenidat – Was tun wir unseren Kindern an?
Er ging vor kurzem durch die Fachpresse. Der Fall eines 16jährigen mit akutem Leberversagen. Die untersuchenden Ärzte kamen zu dem Schluss, dass der Arzneistoff Methylphenidat schuld daran war. Für mich Grund genug, mal wieder meine Meinung zu äußern.
Methylphenidat, ein zentral wirksames Psychostimulanz, wird zur Behandlung von ADHS eingesetzt, dem Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom. Zu Deutsch, bei Kindern, die unruhig und unkonzentriert sind. Nicht nur ich konnte in den Jahren, die ich nunmehr in der Apotheke tätig bin, feststellen, dass die Zahl der Verordnungen für Kinder und Jugendliche stark zugenommen hat. Auch zahlreiche Mediziner haben diesen Umstand bemerkt und kritisiert. Ihr Vorwurf lautet, dass Methylphenidat viel zu oft und unnötig verordnet wird. Und ich persönlich, stimme dem uneingeschränkt zu.
Methylphenidat ist problematisch. Es kann sehr starke unerwünschte Wirkungen haben. Das zuvor erwähnte Leberversagen ist da nur eine von mehreren schwerwiegenden, aber wahrscheinlich ein Einzelfall. Wobei Leberwertveränderungen allerdings in der Vergangenheit schon gemeldet wurden und bekannt waren.
Nicht, dass wir uns falsch verstehen. Ich kenne aus meinem Alltag Fälle von angeborenem ADHS, die tatsächlich von der Einnahme der Medikamente profitieren; Menschen, die ihr Leben damit besser meistern können und weniger Leidensdruck verspüren. Wie immer in solchen Krankheits-Fällen, hat man die schwere Entscheidung zu treffen, ob der Nutzen des Arzneimittels die möglichen Risiken überwiegt. Für einige Fälle mag das bei Methylphenidat zutreffen. Für die große Zahl, glaube ich das aber nicht.
Wirklich sehr auffällig ist, dass die gesteigerten Verordnungszahlen einhergehen mit grundlegenden Veränderungen unserer Gesellschaft. Ich selbst bin Vater zweier schulpflichtiger Kinder und kenne den Druck, dem unsere Kinder heutzutage in der Schule ausgesetzt sind. Ohne Lernunterstützung durch die Eltern oder Nachhilfe, schaffen immer weniger Kinder den Stoff. Das Kindsein findet kaum noch Platz. Schule ist ein Fulltimejob geworden, der im Familienalltag gemanaged werden muss. Im Kampf um den bestmöglichen Berufsstart und mit dem Ansinnen, ihren Kindern möglichst vielfältige Chancen zu eröffnen, fühlen viele Eltern sich verpflichtet, ihre Sprösslinge allerlei Freizeitaktivitäten auszusetzen. Was dabei auf der Strecke bleibt, ist die Zeit in der Familie. Eine Zeit, die von Ruhe geprägt sein sollte. Eine Zeit, die man sich nehmen sollte, um mit den Kindern einfach mal nur zu faulenzen, in Ruhe zu essen und zu quatschen, rumzualbern, mal wieder ein Brettspiel zu spielen oder einen schönen Fahrradausflug zu machen. Ich persönlich liebe ja Sport als Freizeitaktivität. Und ich finde es wichtig, dass schon Kinder zum Sport als gesundem Ausgleich erzogen werden. Aber sorry, muss das gleich wieder im Wettkampfstress oder in Konkurrenzdruck enden? Die sportliche Karriereplanung beginnt heute, kaum dass die Pubertät erreicht ist. Mir ist fast die Kinnlade heruntergeklappt, als mir ein anderer Vater erzählte, dass sein vierzehnjähriger Sohn einen Torwartvertrag hat. Da werden Kinder schon wie Profis gehandelt. Es tut mir leid, ich finde das krank. Und es erhöht den Druck auf die Kinder ungemein. Lasst sie doch verdammt nochmal einfach nur Spaß haben beim Sport. Mich wundert es nicht mehr, dass es viele Kinder gibt, die überdreht, unruhig und unkonzentriert sind.
Um uns herum gibt es immer mehr alleinerziehende Eltern. Und wenn die Ehen noch intakt sind, sind oftmals beide Elternteile berufstätig oder einer von beiden ist so stark eingespannt, dass es für den Partner einer Alleinerziehung gleich kommt. Man kann Eltern nicht verdenken, dass sie immer wieder an die Grenzen ihrer eigenen Leistungsfähigkeit kommen. Der eigene Stressabbau, das Befriedigen eigener Freizeitwünsche, ist genauso wichtig, wie das Einstehen für die Kinder. Ein Kind, das unausgeglichen und hyperaktiv ist, kann sehr anstrengend sein. Besonders, wenn man selber dringend Ruhe braucht. Ich will niemanden verurteilen. Aber der Verdacht liegt nahe, dass allzuoft ADHS behandelt wird, obwohl Eltern und Kinder einfach nur mit ihrer Situation überfordert sind. Statt zur Chemiekeule zu greifen, sollten Eltern lieber versuchen, durch gemeinsame, stressfreie Aktivitäten abzuschalten. Besonders mit etwas älteren Kindern, kann man viele Dinge machen, die beiden Spaß machen und beide interessieren. Diese gemeinsame Zeit, kommt nie wieder zurück und ist mehr wert, als jeder Förderkurs für eine berufliche Zukunft, die heute noch keiner kennt.
Und wenn´s mal gar nicht anders geht, auch heute noch leisten Naturheilmittel wie Baldrian, Hopfen, Melisse und Passionsblume gute Dienste. Bevor Ihr Euren Kindern Methylphenidat gebt, lest Euch mal die Packungsbeilage durch, was Ihr ihnen damit möglicherweise antut.
Alles Liebe und bleibt gesund!
Euer Andreas Binninger