Nebenwirkung von Statinen wird überschätzt (?!) – so ein Mist….
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Ich glaube, ich muss mir mal wieder das Maul verbrennen. Es brodelt in mir seit einer Woche, seit ich in der Fachpresse obige Aussage las. Das ist einfach schlechter Medizinjournalismus. Worum geht es:
Die Arbeitsgruppe von Dr. Judith Finegold vom Nationalen Lungen- und Herzinstitut in London hat, wie ich las, eine Metaanalyse von Studien zur Anwendung von Statinen (Cholesterinsenkern) durchgeführt. Abgesehen davon, dass ich Metaanalysen eh kritisch sehe, kam diese Analyse zu dem Ergebnis, dass Nebenwirkungen bei Anwendern von Statinen nahezu genau so oft vorkommen wie bei Patienten, die in den ausgewerteten Studien Placebos bekamen, also Tabletten ohne Wirkstoff. Lediglich das Diabetesrisiko war signifikant (deutlich messbar) erhöht. Nämlich um 0,6{5cff393ac6e9d9bcd516bee1cb40dba1a54fcac67484b3672b7852825761de21} (von 2,4 auf3{5cff393ac6e9d9bcd516bee1cb40dba1a54fcac67484b3672b7852825761de21}). Dafür war aber die Sterblichkeit (Mortalitätsrate) um 0,5{5cff393ac6e9d9bcd516bee1cb40dba1a54fcac67484b3672b7852825761de21} niedriger. Jetzt will ich Euch das mal übersetzen. Dieses Ergebnis hieße, dass von 1.000 Patienten, die mit Statinen präventiv, also vorbeugend, behandelt werden, nicht 24 sondern 30 Patienten Diabetes bekommen würden. Dafür stürben dann allerdings insgesamt fünf weniger. Also frech ausgedrückt, auf fünf gerettete Seelen, kämen dann sechs zusätzliche, die an der Volksseuche Diabetes erkranken. Wir reden hier in meinen Augen über eine sehr schwerwiegende Nebenwirkung, oder nicht? Wie kann man da äußern, die Nebenwirkungen werden überschätzt?
Das ist für mich das beste Beispiel, wie Journalismus nicht sein sollte. Unter uns Naturwissenschaftlern sagt man scherzhaft, glaube nur der Statistik, die du selber gefälscht hast. Der Mediziner und Co-Autor o.g. Analyse, Dr. Ben Goldacre, soll sich dementsprechend selber kritisch zu den Ergebnissen geäußert haben. Vielfach würden in Studien Nebenwirkungen mangelhaft erfasst und veröffentlicht. Dem kann ich nur zustimmen. Ich bin selber jeden Tag an der Basis und ich kenne Patienten mit sehr starken Nebenwirkungen unter Statintherapie. Diese Stoffgruppe hat u.a. Nebenwirkungen auf die Muskulatur, die auch Symptomen einer Überanspruchung z.B. beim Sport ähnlich sind. Ist doch klar, dass dann in einer Placebogruppe ebenfalls entsprechende Meldungen verzeichnet werden können. Wird diesen Meldungen nicht nachgegangen, z.B. durch Befragung der Patienten, ob sie denn vielleicht zuvor Sport gemacht haben, ist der Aussagewert einer Studie schon hinfällig. Umso schwerer ist es erst recht im Nachhinein, im Rahmen einer Metaanalyse, Studienergebnisse vernünftig zu bewerten. Die einer Metaanalyse zugrunde liegenden Studien sind teils viele Jahre alt. Manche Details lassen sich deshalb nicht mehr genau recherchieren. Insbesondere wenn sie nicht korrekt veröffentlicht wurden. Keinesfalls sollte man deshalb eine solche Analyse zum Anlass für konkrete Aussagen nehmen. Und was formuliert der Autor des Berichtes, den ich gelesen habe, in der Überschrift? „Nebenwirkungen überschätzt“. Das ist einfach nur bullshit. Weil es am Ende das ist, was in den meisten Köpfen hängen bleiben wird, die sich den Artikel nicht durchlesen und mit seinem Inhalt kritisch auseinandersetzen werden. Und so etwas ärgert mich einfach maßlos.
Alles Liebe und bleibt gesund!
Euer Andreas Binninger