Todesfälle – Sackgasse moderne Pharmaforschung?
Zehn Todesfälle, das ist die bisherige Bilanz eines Arzneimittels gegen Hepatitis C, das erst seit 2014 auf dem Markt ist. Insgesamt wurden seit der Einführung 26 Fälle von Leberdekompensation und Leberversagen gemeldet. Darunter die verstorbenen Patienten. Der Hersteller reagierte nun mit einem Rote-Hand-Brief und teilte mit, dass das Präparat zukünftig auch nicht mehr für Patienten mit mittelschweren Leberfunktionsstörungen empfohlen werden darf. Bei schwerer Leberfunktionsstörung, war es ohnehin schon kontraindiziert. Darüber hinaus sollen Patienten von ihrer Apotheke informiert werden, auf Anzeichen von Leberentzündung oder Leberversagen zu achten. Bei neu einzustellenden Patienten, müssen die Leberwerte kontrolliert werden. Sind sie auffällig, werden weitere Kontrollen im Verlauf der Therapie angeraten.
Bemerkenswert ist, dass das Präparat ein beschleunigtes Zulassungsverfahren durchlaufen hat, weil die Experten der EMA (Europäische Arzneimittelagentur), von der hohen Heilungsrate in den vorgelegten Studien überzeugt waren. Haben sie auch die Risiken ausreichend berücksichtigt?
Ein Präparat gegen die Viren, die die Lebererkrankung Hepatitis C auslösen, schädigt selber die Leber? Es muss wohl bereits aufgrund der Studiendaten bekannt gewesen sein, sonst wären die Erkrankten mit schwerer Leberfunktionsstörung nicht von vorneherein von der Behandlung ausgenommen worden. Dass die möglichen Schädigungen weitaus größere Kreise ziehen könnten, haben die Experten leider nicht bedacht. Für die zehn toten Menschen, die in großer Hoffnung auf Heilung die Pillen geschluckt haben, kommt diese Erkenntnis leider zu spät. Aus meiner Sicht, hätte es so nicht zur Zulassung kommen dürfen.
Spielten bei dem positiven Zulassungsbescheid auch wirtschaftliche Aspekte eine Rolle? Das Mittel kostet in Deutschland 16.995 €.
Natürlich stehen die forschenden Arzneimittelhersteller unter einem enormen finanziellen Druck und Erfolgszwang. Einen Arzneistoff zu finden, der erkrankten Menschen bessere Heilungsaussichten und/oder weniger Nebenwirkungen verschafft, wäre fast wie ein Sechser im Lotto. Bei der Hepatitis C handelt es sich um eine verbreitete Infektionskrankheit. Der bisherige Therapiestandard bei der Behandlung der Hepatitis C, waren Interferone. Wer sich einmal mit deren unerwünschten Wirkungen beschäftigt, wird kaum begeisterter sein.
Der Fall veranlasst mich erneut, viele unserer Forschungsbemühungen generell infrage zu stellen. Forschen wir in die richtige Richtung? Forschen wir mit den richtigen Mitteln? Forschen wir mit den richtigen Methoden? Schaffen wir falsche finanzielle Anreize?
Was jetzt mit diesem Hepatitis C-Präparat geschieht, ist leider kein Einzelfall. Einige neue Arzneimittel in den letzten zwanzig Jahren, an die ich mich erinnere, erfuhren im Nachhinein drastische Indikationseinschränkungen, teilweise schwere Nebenwirkungen wurden erst nach Markteinführung erkannt, einige der Medikamente wurden deshalb sogar wieder vom Markt genommen. Schaut man sich die Präparate an, so handelt es sich überwiegend um völlig neue Arzneistoffe, die im Labor designed und synthetisiert wurden. Man hoffte auf diesem Wege, die Therapie möglichst zielgerichtet und verträglicher durchführen zu können. So weit der ethisch korrekte, humanitäre Ansatz. Allein, die Rechnung ging nicht auf, wie die schweren unerwünschten Wirkungen zeigen. Trotzdem schreitet man weiter auf diesem Weg, obwohl er in vielen Fällen eine Sackgasse zu sein scheint. Es wird Zeit zum Umdenken.
Wir kennen zahlreiche Kräuter, Gewürze, Heil- und Gemüsepflanzen mit gesundheitlichem Nutzen und heilenden Wirkungen. Viele davon wurden und werden bereits erforscht. Noch viel mehr sind unerforscht. Allein die Tatsache, dass man bisher einen Wirkmechanismus nicht findet oder erklären kann, rechtfertigt noch lange nicht, einem Naturprodukt die Heilwirkung gänzlich abzusprechen. Vielleicht sind es nur die falschen Methoden, die wir bei der Untersuchung verwenden. Heilpflanzen sind nicht generell unschädlich oder ohne Nebenwirkungen. Ihre Anwendung ist jedoch in den meisten Fällen weitaus verträglicher.
Traurig aber wahr, selbst wenn die Heilpflanzenforschung zum Erfolg führt und sich ein Wirkmechanismus findet, führt dies noch lange nicht zur Einführung eines Arzneimittels.
Ich erinnere mich an die Arbeiten eines bekannten deutschen Pharmazie-Professors, der sich vor vielen Jahren maßgeblich für die Erforschung eines alten, bei uns schon fast vergessenen Heilmittels eingesetzt hat: den Weihrauch. Untersuchungen konnten u.a. belegen, dass Weihrauch den Tumornekrosefaktor-Alpha senken kann. Einen Botenstoff, der an Entzündungsvorgängen wie z.B. beim Rheuma beteiligt ist.
Was bis heute fehlt, ist ein ordentlich zugelassenes Arzneimittel mit Weihrauchextrakt. Zur Zeit gibt es Weihrauch in Deutschland nur als Nahrungsergänzung oder als homöopathisches Arzneimittel. Für eine Zulassung bedarf es umfangreicher, teurer Studien. Geld, das die zumeist kleineren Hersteller pflanzlicher Arzneimittel nicht haben. Und Geld, das die großen Konzerne nicht investieren. Weil es sich schlicht für Phytopharmaka nicht lohnt.
Es ist perfide. Hohe Investitionen in die Forschung rechnen sich vor allem dann, wenn am Ende ein Patentschutz steht. Bei einer völlig neu synthetisierten Substanz, liegt das auf der Hand. Bei pflanzlichen Arzneimitteln nicht. Wer die Heilwirkung einer Pflanze entdeckt, ihren Wirkmechanismus aufklärt, oder die wirksame Substanz der Pflanze identifiziert, bekommt `nen warmen Händedruck und wissenschaftliche Anerkennung, aber noch lange kein Patent für ein daraus resultierendes Arzneimittel. Dazu muss erst ein spezielles Verfahren zur Aufbereitung des Pflanzenmaterials gefunden werden, an dessen Ende zum Beispiel ein ganz besonderer Extrakt steht, den andere mit allgemeingültigen Methoden so nicht gewinnen können. Wenn mit diesem Extrakt dann auch noch positive klinische Ergebnisse erzielt werden, ist erst der Weg zu einem patentierten Arzneimittel frei.
Zugegeben, jeder würde sich an den Kopf fassen, wenn plötzlich ein Medikament mit Weihrauchextrakt für 16.995,-€ auf den Markt käme. Trotzdem müssen wir ernsthaft darüber nachdenken, wie wir zukünftig Forschern und forschenden Unternehmen im Bereich der pflanzlichen oder alternativen Medizin mehr Sicherheit und bessere Honorierung für ihre Arbeit einräumen. Ein Weg könnte sein, dass pflanzliche Arzneimittel, die in der Regel nicht verschreibungspflichtig sind, unter bestimmten Voraussetzungen wieder erstattungsfähig werden. Andernfalls bleibt die Suche nach Designerwirkstoffen aus dem Cyberlabor der lukrativere Weg und natürliche Arzneimittel zunehmend auf der Strecke.
Alles Liebe und bleibt gesund
Euer Andreas Binninger