Phytotherapie ist keine Homöopathie
Schon zu Schulzeiten hat mich die Phytotherapie, die Behandlung von Krankheiten mit Pflanzen, fasziniert. Ich streifte durch die Wälder und schnitt frische Brennnesseln, sammelte Wildkräuter und Vogelbeeren, im Gartenteich erntete ich Kalmus. Das hatte für mich etwas Greifbares, die Kräuter zu fühlen, zu sehen und die intensiven Gerüche wahrzunehmen. Alle Sinne signalisierten, da steckt was drin.
Viele kennen den Unterschied zur Phytotherapie nicht
Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wodurch es kommt, doch in der Apotheke passiert es inzwischen recht häufig, dass Kunden fragen „Das ist doch homöopathisch, oder?“ Die Homöopathie ist zum Inbegriff der nebenwirkungsfreien, sanften Natur-Medizin geworden und wird mit der Pflanzenheilkunde in einen Topf geworfen. Das mag durchaus damit zu tun haben, dass in der Homöopathie neben Mineralien und tierischen Materialien unzählige Pflanzenzubereitungen zum Einsatz kommen. Doch was die Herstellung und die Wirkung der Pflanzenzubereitungen anbelangt, gibt es sehr gravierende Unterschiede und die möchte ich in diesem Artikel deutlich machen.
Am Anfang steht ein Extrakt
Worin sich Phytotherapie und Homöopathie oftmals nicht unterscheiden ist, dass am Anfang der Arzneimittelherstellung zunächst aus den gesammelten Pflanzenteilen ein Extrakt hergestellt wird. Klassischerweise wird dies mit Alkohol vorgenommen, da sich viele Wirkstoffe aus dem Pflanzenreich besonders gut darin lösen. Die einfachste Methode ist, das zerkleinerte frische oder getrocknete Material mit Alkohol zu übergießen und eine ganze Weile stehen zu lassen. Anschließend wird der Alkohol abgepresst und wir haben eine sogenannte Tinktur. Ihr kennt bestimmt Baldriantinktur oder Myrrhentinktur, zwei typische Vertreter dieser Arzneiform.
In der Homöopathie nennt man diese Zubereitung Urtinktur, da sie als Ausgangspunkt für die weitere Herstellung der Homöopathischen Arzneimittel dient. Urtinkturen werden eher selten ohne weitere Verdünnung eingesetzt. Das hat vor allem damit zu tun, dass in der Homöopathie etliche Pflanzenextrakte unverdünnt eingenommen giftig oder gesundheitsschädlich sein können.
Wirkung ohne Wirkstoff?
Die Homöopathie arbeitet nämlich mit der Idee, Gleiches soll Gleiches heilen. Übelkeit und Erbrechen zum Beispiel werden mit Verdünnungen aus der Brechnuss (Nux vomica) behandelt. Die Urtinktur würde beim Menschen starkes Erbrechen auslösen. In der Verdünnung jedoch soll sie die Selbstheilungskräfte quasi wie ein Reizstoff, eine Art Impfung könnte man sagen, anregen. Soweit die Theorie. Die ist zwar von der Idee her irgendwie sogar nachvollziehbar, scheitert aber aus naturwissenschaftlicher Sicht an einem entscheidenden Punkt, die Verdünnungen sind so hoch, dass faktisch kein Wirkstoff mehr enthalten ist, der „reizen“ könnte. In der Pflanzenheilkunde hingegen arbeiten wir mit konzentrierten Wirkstoffen. Einen sehr schönen Vergleich der beiden Therapieformen bietet uns die Heilpflanze Echinacea. Der Purpursonnenhut stimuliert als pflanzliches Arzneimittel Fresszellen des Immunsystems, wirkt antibakteriell, antiviral und wundheilungsfördernd. Die Effekte konnten sowohl im Reagenzglas wie auch am lebenden Organismus nachgewiesen werden. Ferner wurden Wirkstoffgruppen identifiziert und plausible Wirkmechanismen dargestellt.
Auch in der Homöopathie findet Echinacea Verwendung und nimmt für sich ebenfalls in Anspruch, gegen Infektionskrankheiten zu helfen. Ohne enthaltene Wirkstoffe. Ist das logisch, ist das nachvollziehbar? Ich finde nein. Und deshalb ist homöopathisches Echinacea für mich kein zuverlässiges Arzneimittel. Vielmehr verlässt die Homöopathie hier sogar die eigene Idee, Gleiches mit Gleichem heilen zu wollen. Wir haben mit homöopathischem Echinacea schlicht ein pflanzliches Arzneimittel vorliegen, das so hoch verdünnt wurde, dass es nicht mehr über die gefundenen Mechanismen wirken kann.
Vorteile der Phytotherapie
Fakt ist, die Homöopathie hat sich nie wirklich verändert. Sie arbeitet immer noch mit der Idee und den Herstellungsmethoden ihres Begründers Samuel Hahnemann, während sich die moderne Phytotherapie erheblich weiterentwickelt hat. Für viele Pflanzen kennen wir inzwischen die für die Heilung verantwortlichen Wirkstoffe und welchen Nutzen sie für uns haben. Dieser Nutzen kann beispielsweise derart sein, dass Stoffwechselvorgänge in unserem Organismus positiv angeregt werden, Wunden verschlossen werden oder Erreger direkt auf natürliche Weise bekämpft werden, wie beim Beispiel Echinacea. Solche Vorgänge sind objektiv messbar.
Die Tinkturherstellung mit Alkohol wird inzwischen überwiegend durch moderne Extraktionsverfahren abgelöst, die eine hohe Konzentration der Extrakte und Anreicherung der Wirkstoffe möglich machen. So erhalten wir überwiegend gut veträgliche und vor allem zuverlässige Arzneimittel, die in zahlreichen Anwendungsgebieten vergleichbare Wirkungen wie chemische Arzneimittel erzielen können.
Pflanzenkraft gegen Infektionskrankheiten
Besonders bei Infektionskrankheiten hat deshalb ein begrüßenswertes Umdenken stattgefunden. Gerade vor dem Hintergrund der zunehmenden Antibiotikaresistenzen, setzen immer mehr Ärzte bei leichteren Erkrankungen der Atemwege und der ableitenden Harnwege auf Phytotherapeutika mit antientzündlichen, antibakteriellen und/oder antiviralen Eigenschaften, bevor sie als letzte Maßnahme ein Antibiotikum in Erwägung ziehen. Homöopathie kann das nicht leisten.
ES GIBT KEIN HOMÖOPATHIKUM DAS ANTIBAKTERIELL ODER ANTIVIRAL WIRKEN KANN.
Das ist schlichtweg aufgrund der Verdünnung nicht möglich. Wenn ihr mich nach meiner ehrlichen Meinung fragt, dann gebe ich deshalb der Pflanzenheilkunde in allen Lebenslagen den Vorzug gegenüber der Homöopathie.
Lasst uns nicht streiten
Ich weiß, dass dieser Artikel eingefleischten Homöopathen wahrscheinlich nicht gefallen wird. Ich möchte hiermit keine weitere Grundsatzdebatte auslösen, ob Homöopathie nun wirken kann oder nicht. Sie scheint in etlichen Fällen etwas bei Patienten zu bewirken. Doch diese Wirkung ist nicht zuverlässig und nicht mit einem pflanzlichen Arzneimittel vergleichbar. Deshalb erlaubt mir bitte meinen Standpunkt, der geprägt ist von Jahrzehnten der persönlichen und beruflichen Erfahrung im Umgang mit Heilpflanzen und daraus gewonnenen Arzneimitteln sowie wissenschaftlichen Kriterien, die diese Erfahrungswerte untermauern.
Alles Liebe und bleibt sportgesund!
Euer Apotheker Andreas Binninger