Suizidgefahr und Todesfälle – Die Rote Hand schlägt wieder zu
Ich habe in meinem Blog schon mehrfach meine Meinung zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen kundgetan. Und wieder einmal kann ich nur mit Erschütterung und Kopfschütteln reagieren. Gleich zwei Rote Hand Briefe sind in diesem Monat auf meinem Schreibtisch gelandet, die vor möglichen Nebenwirkungen mit Todesfolge warnen. Der eine Fall betrifft den Immunmodulator Lenalidomid, einen Arzneistoff, der zur Behandlung bösartiger Erkrankungen wie z.B. dem multiplen Myelom, einer Krebserkrankung des Knochenmarks, eingesetzt wird. Anlass für die Warnung sind Berichtsfälle, in denen es nach der Behandlung mit Lenalidomid zu einer Reaktivierung von Herpes-Zoster- oder Hepatitis-B-Viren gekommen ist, mit denen die Patienten bereits zuvor infiziert waren. In einigen Fällen der Hepatitis-B-Vorerkrankung hatte die Reaktivierung akutes Leberversagen mit Tod zur Folge. Der zweite Rote Hand Brief betraf den Wirkstoff Apremilast, der zur Behandlung schwerer Plaque-Psoriasis und der Psoriasis-Arthitis eingesetzt wird. Zwei schweren Verlaufsformen der Schuppenflechte. Berichtet wird über Selbstmordgedanken bis hin zum vollendeten Selbstmord. Laut Hersteller soll die Häufigkeit der Nebenwirkung bei 1{5cff393ac6e9d9bcd516bee1cb40dba1a54fcac67484b3672b7852825761de21} bis 1‰ der behandelten Patienten liegen.
Ich habe Pharmazie studiert, weil ich Menschen helfen möchte und von Naturwissenschaften fasziniert bin. Doch immer wieder stelle ich mir die Frage, was machen wir da mit unserer modernen Wissenschaft eigentlich? Wir wissen so viel und doch so wenig. Wir investieren hunderte Millionen in die Forschung um anschließend Medikamente im Marktwert von tausenden von Euro zu haben, die Menschen schaden. Nicht allen. Der Mehrheit wird geholfen. Aber ist es das Risiko des einzelnen, sein Leben zu verlieren, wert? Hätten die Patienten der Therapie auch zugestimmt, wenn sie vorher um das Risiko gewusst hätten?
Immer wieder müssen wir Nutzen und Risiken abwägen, müssen den Leidensdruck des Patienten und die Schwere seiner Erkrankungen den möglichen Nebenwirkungen von Arzneimitteln gegenüber stellen. Das betrifft schon so harmlos anmutende Präparate wie Schmerz- und Fiebermittel, die je nach Wirkstoff die Nieren, die Leber oder das Herz schädigen können, Magen-/Darmblutungen hervorrufen, schwere Blutbildveränderungen, Hautschäden und noch zahlreiche andere Nebenwirkungen verursachen können. Nur mit dem Unterschied, dass diese Nebenwirkungen überwiegend bereits seit Jahrzehnten bekannt sind und schwarz auf weiß für jeden Patienten zugänglich in der Packungsbeilage stehen. Bei den oben genannten Arzneimitteln handelt es sich jedoch um völlig neue, innovative Präparate, mit relativ geringem Erfahrungsschatz. Weitere Nebenwirkungen, die im Rahmen der klinischen Zulassungsstudien nicht auftraten oder erkannt wurden, treten bei solchen Präparaten oft erst in Erscheinung, wenn eine Vielzahl von Patienten weltweit behandelt wird. Manchmal sogar erst viele Jahre nach der Markteinführung. Für die betroffenen Menschen, die diesen Arzneimitteln ihr Vertrauen geschenkt haben, eine fatale Situation, für die es im Falle der bedauernswerten Verstorbenen keine Wiedergutmachung mehr gibt.
Die moderne Pharmaforschung steckt in einem Dilemma. Sie steht unter einem enormen Erfolgszwang und Innovationsdruck. Finanzielle Aspekte spielen hierbei eine große Rolle. Erfolgreiche neue Arzneimittel verheißen hohe Gewinne, während man mit althergebrachten Präparaten ohne Patentschutz nicht so viel verdienen kann. Insbesondere hier in Deutschland angesichts der Rabattverträge mit den Krankenkassen.
Doch müssen wir uns ernsthaft Gedanken darüber machen, ob die Mittel und Wege, mit denen wir zu neuen Arzneimitteln gelangen, die richtigen sind. Ob wir die richtigen Methoden einsetzen und ob das heutige Wissen über den menschlichen Organismus ausreicht, um am Ende sichere Präparate zu erhalten. Wir müssen uns auch ernsthaft damit auseinandersetzen, dass es vielleicht niemals gegen jede Krankheit ein Heilmittel geben wird. Zumindest nicht ohne Risiken. Wir sollten deshalb viel mehr Forschungskraft in die Ursachenerforschung und Vermeidung von Krankheiten stecken, in Gesundheitsprävention. Von zahlreichen Zivilisationskrankheiten wissen wir bereits, dass sie mit einer entsprechenden Lebensweise vermeidbar oder abzumildern sind. Das geht jedoch nicht ohne die Menschen, ohne ihre Bereitschaft, etwas für die eigene Gesundheit zu tun und Krankheiten vorzubeugen. Ferner bin ich der Überzeugung, dass wir uns viel mehr für Naturheilmittel stark machen müssen. Noch immer scheitern zahlreiche Arzneimittel aus Heilpflanzen an den extrem hohen Zulassungskriterien, die finanziell so kostspielig sind, dass sich das Firmen, die in dem Bereich tätig sind, nicht leisten können. Und für die finanzstarken Global Player sind sie ohne Patentschutz anscheinend nicht lukrativ genug. Ich finde, das muss sich dringend ändern.
Alles Liebe und bleibt sportgesund!
Euer Andreas Binninger